Wir unterstützen Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten.
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15. Juni 2022 - Meldung

Ukraine: Wie wir Frauen und Mädchen vor Ort unterstützen

Ende Februar 2022: Russland beginnt seinen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Berichte über sexualisierte Kriegsgewalt nehmen seither zu. medica mondiale steht im Kontakt mit lokalen Frauenrechtsaktivist:innen. Was brauchen die Frauen und Mädchen vor Ort am dringendsten? Wie kann nachhaltige Unterstützung trotz der akuten Gefahr aussehen? Unser erstes Kooperationsprojekt startete im Mai.

Kampfflugzeuge, Panzer und einmarschierende Bodentruppen mit schwerem Geschütz bedrohen die ukrainische Bevölkerung. Die Vereinten Nationen gehen Anfang Mai von rund 13 Millionen Flüchtenden aus – darunter mehrheitlich Frauen und Kinder.

Besonders gefährdet: Frauen und Kinder auf der Flucht

Unsere 30-jährige Erfahrung als Frauenrechts- und Hilfsorganisation lässt uns wissen: Krieg befördert sexualisierte Kriegsgewalt und einen Anstieg sexualisierter Gewalt. Frauen und Kinder auf der Flucht sind besonders schutzlos und gefährdet. Mit Kriegsbeginn sehen sich Frauenrechts- und Hilfsorganisationen vor Ort und in den Nachbarländern mit zahlreichen Anfragen, Hilfegesuchen und Dokumentationsanforderungen konfrontiert. Sie arbeiten unter schwierigen und bisweilen überfordernden Bedingungen. Ihr Ruf nach Unterstützung erreicht uns über verschiedene Kanäle.

Ein traumasensibles Hilfsnetzwerk für Frauen und Mädchen

Gemeinsam mit dem „Europäischen Netzwerk gegen Gewalt an Frauen und Kindern“ (Women Against Violence Europe, WAVE) entwirft medica mondiale schnellstmöglich nach Kriegsbeginn eine Projektskizze, wie Frauenrechtsorganisationen und lokale Aktivist:innen am effektivsten in ihrer Arbeit unterstützt werden können. Das Ziel: Schnelle und traumasensible Angebote für Frauen und Mädchen bei gleichzeitiger Stärkung der Unterstützenden. Darüber hinaus ist medica mondiale im Austausch zu weiteren akuten Bedarfen, wie zum Beispiel Medikamenten und Hygieneartikeln, die über den medica mondiale Nothilfefonds den Frauenrechtsorganisationen unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden können.

Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen vor Ort stärken

Die Mitarbeitenden der WAVE-Mitgliedsorganisationen in der Ukraine und den Nachbarländern sollen gestärkt werden. Zu diesem Zweck kooperieren medica mondiale und WAVE seit April. Die Maßnahmen beinhalten Trainings zu unserem stress- und traumasensiblen Ansatz® STA sowie seiner Anwendung in der Beratung Überlebender. Weiterer Bestandteil sind Coachings in Selbst- und Teamfürsorge. Bei den Teilnehmenden handelt es sich vorrangig um Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen sowie Juristinnen, die bereits vor dem Krieg im Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt und Frauenberatung arbeiteten.

Erste Coachings und Trainings fanden bereits statt. Eine längerfristige Trainingsreihe ist derzeit in Planung. Sie soll an die spezifischen Bedarfe der Frauenrechtsorganisationen vor Ort angepasst und in Kooperation mit unseren Partnerorganisationen aus Südosteuropa angeboten werden. Medica Zenica und Medica Gjakova können die Kriegserfahrungen aus ihren Ländern, deren Folgen und den Umgang damit einbringen. Die Kosten für die Coachings und Trainings werden teilweise von WAVE und teilweise durch den medica mondiale Nothilfefonds übernommen.

Aktivist:innen zwischen Verausgabung, Angst und Zuversicht

Maria Zemp, langjährige Traumafachberaterin für medica mondiale, hat im Mai ein erstes Coaching durchgeführt. Sie erzählt, dass es eine besondere Herausforderung war, per Videokonferenz mit den Aktivist:innen zu sprechen, während im Hintergrund die Warnsirenen dröhnen und die Teilnehmenden sich schnell im Keller in Sicherheit bringen müssen. Auch hätten sich viele der Frauen in der ersten Kriegsphase verausgabt beim Versuch, Frauen und Kindern beispielsweise alternative Schutzräume anzubieten:

„Die Aktivistinnen haben teilweise wöchentlich mehrere Schutzhäuser eröffnet, um den Frauen und Kindern Schutz und Obdach zu bieten. Sie unterstützen die Frauen darin, den Alltag zu bewältigen. Sie sind tröstend an ihrer Seite bei Ängsten und Verlusten. Frauen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, finden bei ihnen solidarische psychosoziale Begleitung.“

Es sei ermutigend und beeindruckend, mit welcher Kraft die Aktivist:innen alles geben, um für Gewaltbetroffene eine Stütze zu sein.

Kraftquellen für Unterstützende spürbar machen

Wichtig sei nun, so Zemp, dass die Beraterinnen ihre Ressourcen im Blick behalten und immer wieder Kraft schöpfen, um ihr eigenes Leben trotz der Kriegsgeschehnisse am Laufen zu halten und gleichzeitig nachhaltig Frauen und Mädchen unterstützen zu können:

„Was die Unterstützenden von uns jetzt brauchen sind vertrauensvolle Räume, in denen sie einen kurzen Moment innehalten und sich gegenseitig austauschen können. Wir erinnern sie an praktische Werkezeuge, die helfen, mit Erschöpfungszuständen oder Hoffnungslosigkeit umzugehen. Wir schauen gemeinsam auf ihre Kraftquellen und wie sie sich gegenseitig stärken können.“

Allmählich realisieren sie, dass sie einen langen Atem brauchen werden und bitten uns, langfristig an ihrer Seite zu sein.

 

Ihre Spende hilft: Unser Engagement in der Ukraine finanzieren wir aus Mitteln des medica mondiale Nothilfefonds. Erfahren Sie mehr!