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31. Juli 2019 - Gastbeitrag

Gastbeitrag von Antje Schrupp: Geschlechterstereotype und Alltagssexismus

Gender Pay Gap, Rosa-Hellblau-Falle, #metoo und mehr: Auch in westlich-emanzipierten Gesellschaften sind Geschlechterstereotypen nach wie vor gängig. Warum halten sie sich so hartnäckig, allen guten (oder zumindest bekundeten) Absichten zum Trotz? Und wie unterscheidet sich die neue Frauenbewegung von ihren Vorgängerinnen?

[...] Vor hundert Jahren dachten viele, wenn Frauen erst einmal wählen dürften, würde sich das Thema erledigen. Schließlich könnten sie als Wählerinnen ihre Interessen politisch umsetzen. Aber so kam es bekanntlich nicht.
[...] Die „zweite“ Frauenbewegung hat sich dann grundlegendere Veränderungen vorgenommen, ja eine Revolution. In den 1970er Jahren diskutierten Feministinnen über neue Familienformen, neue Arbeitsverhältnisse, neue Formen von Sexualität. Es war klar: Formale Emanzipation genügt nicht, man muss auch reale Anstrengungen unternehmen, um sie zu verankern. Und so sprossen in den folgenden Jahren die Frauenförderpläne und Gleichstellungsbeauftragten nur so aus dem Boden. [...] Und wieder dachten viele, das „Geschlechterproblem“ wäre gelöst [...]. Und wieder erwies sich das als falsch.

Subtile Machtverhältnisse: Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen verwirklichen

Heute wird nun unter Labeln wie #aufschrei oder #metoo die feministische Debatte erneut geführt. Es geht jetzt [...] um all die subtilen und strukturellen Machtverhältnisse, die nicht so leicht fassbar sind. [...] Dumme Witze, beiläufige Übergriffigkeiten, subtile Zuschreibungen, [...] sexualisierte Darstellung von Frauen in Medien, sexistische Werbekampagnen, männlich dominierte Podien, eine Grammatik, bei der die männliche Form die „normale“ ist und so weiter.

Häufig wird Feministinnen, die diese Dinge kritisieren, vorgeworfen, sie wollten alles verbieten, das Flirten, die Kunstfreiheit, den offenen Diskurs. Aber genau das stimmt nicht. Denn nach der ersten Phase (dem Kampf um das Wahlrecht) und der zweiten Phase (dem Versuch, durch Gesetze und Regelungen reale Gleichstellung zu erreichen) sind wir heute in einer dritten Phase: Bei den Verhandlungen darüber, was sich gehört und was nicht. Wie wir zusammenleben möchten, jenseits von Gesetzen und Verordnungen. [...]

Frauen wollen selbstbestimmt handeln ohne Rechtfertigung

Dieser neue feministische Aufschwung ist eine Folge davon, dass inzwischen für viele Frauen Gleichberechtigung und Emanzipation von klein auf selbstverständlich waren. Und viele von ihnen haben beruflichen Einfluss [...], sind davon überzeugt, dass ihnen aus ihrem Frausein keine Nachteile erwachsen dürfen, und handeln entsprechend. [...]

Es ist kein Zufall, dass sich – und zwar nicht nur in Deutschland oder in Europa, sondern überall auf der Welt – die alten nationalistischen Patriarchen und Rechtspopulisten den Feminismus zum Hauptgegner erkoren haben. Denn das Revolutionäre an dieser neuen Politik der Frauen ist [...], dass sie die Meinungshoheit des „alten Mannes“ untergraben, desjenigen also, der in patriarchaler Logik die letzte Instanz ist.

Vielfältige, intersektionale und autonome Frauenbewegung

[...] Die Frauenbewegung verbindet sich dabei mit anderen sozialen, postkolonialen, antikapitalistischen Bewegungen, denn auch andere ehemals als nicht ebenbürtig angesehene Menschen erheben heute selbstverständlich ihre Stimme – ohne Rücksicht auf das, was die traditionellen Autoritäten davon halten. [...]

[Diese neue autonome, vielfältige, intersektionale Frauenbewegung] [...] legt ihren Fokus auf die Welt. Nicht nur auf die Situation der Frauen darin, sondern aufs Ganze, auf die Verhältnisse, die anders werden sollen, ganz generell.

Wie anders? Diese Frage muss offen bleiben. Frauen haben nicht qua Frausein gemeinsame Ziele. Denn sie sind frei. Während das Ziel des Feminismus früher festzustehen schien – das Wahlrecht erkämpfen, die Gleichheit der Geschlechter verwirklichen – so ist es heute unklar.

Die italienische Feministin Luisa Muraro hat das kürzlich so beschrieben: „Stellt euch ein Wettrennen vor: die Athletin, die läuft. Läuft sie aufs Ziel zu? Ja – aber wo ist das Ziel? Für diejenigen, die stillstehen, ist es fest und unverrückbar, aber für sie, die läuft, geht es darüber hinaus; sie bleibt nicht am Ziel stehen, sie läuft hindurch, sie durchbricht die Ziellinie. Das ist die Figur der Politik der Frauen.“

Sie finden den Beitrag in voller Länge in unserer Fachbroschüre (S. 14)

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